Peter Hölters
(JK) Der Tango hatte stets eine wechselhafte Geschichte. 2006 saß ich in meiner Tangolehrer-Ausbildung in Dortmund nach einem Salon des Todo Tango mit meinem Mentor Peter Hölters nachts an der Bar und inmitten unseres, wie üblich langen Gesprächs sagte er: “ Es ist schon so eine Sache mit dem Tango. Wenn irgendwo die Welt durchdreht und die Krise das Leben der Menschen durcheinanderschüttelt, fangen sie an, Tango zu tanzen. Sie flüchten sich in die Säle und tanzen. Vielleicht gibt ihnen der Tanz die Sicherheit und das gute Gefühl, das ihnen das Leben da draußen zeitweise nicht geben kann. Vielleicht bekommen sie auch dort die Umarmung, die sie in der Krise vermissen.“
Peter Hölters hat die Pandemie nicht mehr erlebt. Dass die Krise die Tangoszene und damit auch den tänzerischen Heimathafen im Sturm des Lebens mit solch einer Wucht verändern würde, hätte ihn sicherlich betrübt. Und in Jahren, in denen der Indikator von Sicherheit durch den Abstand bestimmt wurde, erschien eine Umarmung in der Masse von Tänzern sicherlich nicht als probates Mittel, heile durch die Jahre zu kommen.
Heute, 2 1/2 Jahre nach dem ersten Lockdown haben wir uns alle größtenteils wiedergefunden. Ganz aus den Augen haben sich die meisten Tangueros und Tangueras eh nicht verloren. Viele haben jedoch aus der neuen Gewohnheit des Abstands die Tangoschuhe an den Nagel gehängt und sich anderen Dingen gewidmet. Viele holen die verpassten Reisen nach, fanden andere Passionen und damit ging auch sicherlich ein Stück weit Gefühl dahin, was man einst für den Tanz in einem sozialen Miteinander, die Neugierde auf neue Salons weltweit oder das heimelige Gefühl der eigenen Milonga hatte. Viele Kulturschaffende haben aufgeben müssen: Lehrer, TJ’s, Salonbetreiber. Sie gingen in ihre alten Berufe zurück und beobachten zögerlich, wie erstrebenswert eine Rückkehr in das unsichere Tangoleben sein mag.
Das Tango Vagabundo und der Verein Bohemio e.V. haben die Zeit überdauert. Auch wir haben flexibel auf alles reagiert, was uns auferlegt wurde, waren vorsichtig und verantwortungsbewusst und sind es immer noch. Auch wir haben leider manche Tänzer*innen verabschieden müssen, teilweise auch ohne Verabschiedung in den Wirren von Schließung und Öffnung. Und doch erreichen uns gerade jetzt wieder viele Nachrichten von Vagabundos aus den Winkeln NRW’s, die zurückkehren oder zumindest uns wiedersehen möchten. Das freut uns sehr. Vor allem freut es uns jedoch, dass trotz aller Anstrengungen und Veränderungen viele unserer Lernenden und Salonfreunde uns über die ganze Zeit, bei jeder noch so spinnerten Idee folgten und uns unterstützten. Vieles hat funktioniert, manches war…na ja..ein Testballon im Wirbelsturm.
Aktuell veranstalten Vagabundo und Bohemio Unterricht in vier Städten. Es ist nicht immer einfach aber es ist schön: zu sehen, dass überall wo wir auftauchen noch immer der Enthusiasmus und die Verve bestehen, den Tango in seiner Essenz erlernen, vertiefen und vielleicht irgendwann verstehen zu können. Das ist etwas besonderes, was uns weiter antreibt und hoffen lässt, alte Strukturen und Ideen wieder weiter auf- und ausbauen zu können.
Diese Nachricht ist ein Appell: wir hatten viele Klassen und Salons in Ahlen, Hamm und Bielefeld. Aktuell bespielen wir den Schwoof in der Restauration Bartsch. Es kommen häufig Anfragen nach unseren „alten“ Tango-Kultstätten, z.B. der Tango-Nachtschicht in der Schuhfabrik Ahlen. Bislang möchten wir erst einmal bescheiden das stärken, was wir haben. Um mehr anbieten zu können, brauchen wir jeden Tänzer, Tänzerin, alte Hasen und Frischfüßler, Verrückte und Vagabunden, Enthusiasten, Musiker und Unterstützer.
Wenn ihr das kleine duftende Nachtschattengewächs Tango noch weiter wachsen lassen wollt, so macht mit:
- Erzählt euren Freunden vom Tango und was es euch bedeutet,
- Macht sie aufmerksam auf neue Anfängerangebote
- Geht mit ihnen gemeinsam zu Salons
- Nehmt auf den Salons jeden freundlich auf; diese Person ist wahrscheinlich genau so ein Enthusiast wie ihr selbst
- Zerpflückt nicht analytisch jeden Fitzel sondern tanzt und trainiert.
- Unterstützt eure Tangolehrenden in der Region
- Unterstützt Restaurants, Kneipen, Cafés etc, die den Tango freundlicherweise beherbergen; geht dort essen und macht Werbung für diese. Ohne solche Orte würde der Tanzboden unter den Schuhen fehlen.
- Bleibt neugierig und geht so viel wie möglich tanzen…denn darum geht es uns allen doch letztendlich, oder?!
Das Tango Vagabundo bietet über unseren Verein Tango Bohemio regelmäßig und ganzjährig neue Anfänger-Angebote in Ahlen, Bielefeld und Hamm an. Vor unseren Salons könnt ihr zudem stets frei mit oder ohne uns trainieren. Sprecht uns an und wir helfen euch gerne weiter. Auch noch so verrückte und absurde Ideen sind jederzeit willkommen. Solange ihr diese auch mittragt.
In diesem Sinne; wir sind nicht wieder da, wir waren nie weg. Und es macht uns gerade höllischen Spaß. Also, macht gerne mit. Zum Tango tanzen bedarf es keiner Krise, es bedarf der Liebe zum Tanz.
Bis später
Euer
Vagabundo
Peter Hölters
15. September 1953 – 14. Mai 2019
(JK) Peter Hölters ist gegangen. Am 14. Mai 2019 verstarb der Tänzer, Lehrer, Mentor und gute Freund in seinem Haus in Dortmund. Der Schock und die Trauer über diese Nachricht schlich sich in den Folgetagen durch die Tanzszene. Viel wurde seitdem von vielen geschrieben. Mir fiel und fällt es schwer, den Gedanken anzunehmen und ich rang, seitdem mich die Nachricht erreichte um klare Gedanken und Worte. Gedrückt habe ich mich seit Tagen so etwas wie einen Nachruf auf diese Seite zu setzen. Heute für dich, mein lieber Peter, abgerungen, was so schwer zu sagen ist:
Die Nachricht über deinen Tod schlug mir im sonnigen Berliner Morgen am letzten Freitag ins Gesicht. Auf gepackten Koffern las ich eine zusammenhangslose Nachricht einer Kollegin und recherchierte nach. Ohne das Was, Wann und Wie zu kennen stand ich zwei Stunden später um Fassung ringend vor meiner Tangoklasse und dachte an das, was du mir in meiner Ausbildung bei dir beigebracht hast: „showing the bridges“. Seit meiner Rückfahrt nach NRW begleiten mich unsere Jahre:
Seit Januar 2005 bist du mein Vorbild. Seitdem ich dich tanzen sah, wusste ich einzuordnen, was mir Tango bedeutet und wie ich ihn ansatzweise definieren kann. Und auch wenn uns 26 Lebensjahre trennen, so bist du der Tänzer, mit dessen Ausdruck ich doch das verbinde, was mir Tango bedeutet. Ein charmanter Kater im Smoking oder hellen Revers, mit einer geerdeten Leichtigkeit, die nie ihre Eleganz verliert und auch dem dunkelsten Pugliese ein wissendes Augenzwinkern verleiht.
Du bist ein Lehrender, der durch sein Wissen und seinen klaren Blick Wurzeln schenkt und auch ohne anzubinden seine Schüler blühen lässt. Durch dich habe ich eine Freiheit im Tanz gefunden, die mich hat weiterwachsen lassen ohne diese Wurzeln zu vergessen. Und auch dies ist deine wahre Größe: du freust dich und bist neugierig auf das Wachstum deiner Schüler.
Du bist ein Freund. Auch wenn der Alltag uns hat seltener sehen lassen, so ließen wir uns nicht aus den Augen und unsere Worte erreichten uns immer in den richtigen Momenten. Und als wir uns im Lütgendortmunder Alltag des Todo Tango nicht mehr hatten, so waren unsere selteneren, persönlichen Gespräche doch umso ehrlicher und intensiver. Durch dich lernte ich die Sprache von Kempowski zu lieben, den Klang von Sassone zu verstehen und das Wort Selbstbewusstsein im Tanz auf einer greifbaren Ebene zu begreifen: Sich seiner selbst im Tanz bewusst zu sein.
Du hast mir mal gesagt, vor einem Auftritt im Keunighaus im Sommer 2008, ich solle nicht 100 Prozent auf der Bühne geben. Ansonsten würde man sich selbst verlieren. „Gib 90 Prozent, das reicht; die letzten 10 Prozent brauchst du, um dich selbst zu schützen.“ Unsere Freundschaft steht auf keiner Bühne, daher schenke ich dir hier und heute die restlichen 10 Prozent.
Ich schreibe dies alles im Präsens; für die Vergangenheit ist es noch zu früh, ich komme damit noch nicht klar. Und ich will es auch noch nicht.
Meinen Schülern habe ich über die Jahre immer und immer wieder von dir erzählt und auch in meinem Tango steckt viel von dir. Dies alles macht meine Schritte in diesen Tagen erschreckend stumpf und schwer.
Unsere letzten gemeinsamen Ideen seit dem letzten Bielefelder Gespräch, immer und immer wieder aufgeschoben liegen nun in der Schublade.
Als Evelyn Hamann starb, sagte Vico von Bülow über sie, mit zwinkernder Wut, diesmal sei ihr Timing miserabel gewesen („na warte“). Vor dem Chan chan die Fläche zu verlassen, gehört sich nicht für einen guten Tänzer.
Auch dein Timing war diesmal nicht überragend…mein Freund.
Chan chan